Diese surrealistische Interpretation der Figur des Fantômas, bekannt aus den populären Romanen von Pierre Souvestre und Marcel Allain sowie der Filmserie Louis Feuillades, stellt den Meisterverbrecher auf ironisch-subversive Weise als Symbol für Anarchie, Täuschung und das Unbewusste dar. Regisseur Ernst Moerman gehörte zu den Vertreter*innen des belgischen Surrealismus. Sein experimenteller Film verbindet Krimi-Elemente mit absurdem Humor und avantgardistischen Techniken. Fantômas wird so zur surrealistischen Ikone – geheimnisvoll, allgegenwärtig und gegen jede Form von Ordnung gerichtet.
Tatsächlich handelt es sich eher um eine Persiflage als um einen „ernsthaften“ surrealistischen Film. Moerman verstand ihn als Übertragung seines Textbands „Fantômas“ von 1933 in ein anderes Medium (natürlich auch in der Hoffnung auf ein größeres Publikum).
Keiner der Mitwirkenden hatte technische Erfahrung im Film; gedreht wurde mit einem Mini-Budget an einem Strand mit Dünen und in einem alten Kloster. Doch all das gereicht dem Film nicht zum Nachteil, ganz im Gegenteil: Er wirkt frisch, spontan und sehr unterhaltsam, mit einer Fülle an schönen Bildideen. Moerman verteilt fleißig (vorwiegend visuelle) Seitenhiebe gegen Polizei und Klerus, die aber, etwa im Vergleich zu L’ÂGE D’OR, letztlich relativ harmlos bleiben, so dass es keinen Skandal gab.
Moerman brachte einige Referenzen zu anderen Kunstwerken in seinem Film unter: Ein Zitat der Treppe von Odessa aus PANZERKREUZER POTEMKIN, den Gedichtband „Capitale de la douleur“ (Hauptstadt der Schmerzen) seines Freundes Paul Éluard, und das Gemälde „Le Viol“ (was „Die Vergewaltigung“ bedeutet) von René Magritte. Ich weiß nicht, ob Moerman auch mit Magritte befreundet war, aber er schätzte ihn auf jeden Fall als Maler. Die Aufnahme des Films bei den „offiziellen“ Surrealisten war eher verhalten, aber der vielleicht nicht ganz unparteiische Éluard zeigte sich begeistert und verglich ihn mit UN CHIEN ANDALOU.
Manfred Polak, whoknowspresents.blogspot.com, 20.4.2016
As with Buñuel’s films, MONSIEUR FANTÔMAS is very rich in terms of surrealist images […] But one image stands out from all the rest: the sequence in which Fantômas is surrounded by police. The contagious and enjoyable sense of humour running throughout the film suddenly comes to the surface. Given the surrealists well-known taste for slapstick humour, this is not surprising. As if in an old Mack Sennett or Ben Turpin film, the master criminal turns into a double bass to escape the police. Logic and reason are now gone, if ever they once ruled, and the time has come for pure fantasy and delirium. In fact, this penchant for farcical elements is one of the most remarkable qualities of the film. On many occasions, surrealists refer to the ‘immediate absurdity’ of their output, the peculiar quality of that absurdity being a yielding to whatever is most admissible and legitimate in the world: divulgation of a given number of facts and properties on the whole not less objectionable than others. Undoubtedly, MONSIEUR FANTÔMAS represents the quintessence of that particular taste for absurdity. – Moerman, evoking the screening of his film on October 12th, 1937 at the Palais des Beaux-Arts in Brussels, described the opening night as deeply marked by “silent film nostalgia”.
Santiago Rubín de Celi, Experimental Conversations, No. 7, Summer 2011