Der bevorstehende Gastauftritt einer pikanten Berliner Revue gefährdet die sittliche Ordnung, die in der konservativen Kleinstadt Emilsburg zu herrschen scheint. Nach einer Protestaktion des ortsansässigen Sittlichkeitsvereins wird der Auftritt vorzeitig beendet. So steht Ninon d’Hauteville, großer Star der Revue, plötzlich ohne Beschäftigung da. Doch der Lokalfürst engagiert sie als Klavierlehrerin für seinen scheuen Sohn, der durch sie ins Erwachsensein eingeführt werden soll. Recht bald erhält Ninon weitere Anfragen nach Klavierstunden, insbesondere von den wollüstigen Mitgliedern des Sittlichkeitsvereins. Heimlich filmt sie alle Besuche dieser Herren und als die Filmaufnahmen durch die Polizei beschlagnahmt werden, droht die Doppelmoral und Scheinheiligkeit des Sittlichkeitsvereins aufzufliegen.
Schauspielerin und Produzentin Ellen Richter zählte zu den größten Stars des deutschen Kinos der 1910er- und 1920er-Jahre. Sie wirkte in über 70 Filmen mit, von denen nur ein Bruchteil heute noch überliefert ist. In MORAL strahlt sie in der freien Verfilmung des satirischen Bühnenstücks Ludwig Thomas aus dem Jahr 1908, die in Me-Too-Zeiten erstaunlich aktuell wirkt. Die digitale Restaurierung des DFF, die in Zusammenarbeit mit der Filmoteca Valenciana und dem Bundesarchiv entstand, basiert im Wesentlichen auf dem Originalkameranegativ und erlebt in Bonn ihre Deutschland-Premiere.
Einführung: Ellen Harrington, DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Des boshaften Satyrikers Bühnenwerk erscheint auf der Leinwand vom Staub befreit, modernisiert und frisch poliert. Dabei durchaus liebenswürdig, so scharf man auch der doppelten Moral der Spießer und Mucker zu Leibe geht.
Willi Wolff hat dieses sein 25. Regieprodukt, das er mit seiner Ehe- und Filmpartnerin Ellen Richter schuf, mit besonderer Liebe und äußerst splendid ausgestattet. Ausschnitte aus der letzten Haller-Revue – mit den famosen Tiller-Girls und der reizenden la Rahna im Mittelpunkt – geben dem Film äußere Pracht und Anmut. Dazu ist die Spießbürgerlichkeit der Kleinstadt in wirksamsten Kontrast gestellt: die Väter von Emilsburg, die flammende Proteste gegen die Revuewunder der Großstadt und ihren weiblichen Star beschließen, während sie sich im Geheimen nur allzu gern an den ihnen versagten Sünden delektieren. […]
Das Ganze ist, so dezent es auch geschildert ist, scharf pointiert. […] Ein Kabinettstück bietet Ralph Arthur Roberts als teutscher, die Moral hütender, aber schließlich im Drange der Gefühle aufsitzender Oberlehrer. Er steigert diese „Maske“-Studie, frei von allen Übertreibungen, zu stärkster Wirkung und bleibt mit seinem angeschnallten Spitzbäuchlein, seinem Schnauzbart, seinen gravitätischen Gesten ein König auch in Unterhosen.
bon., B.Z. am Mittag, 24.1.1928
This evening belonged to Ellen Richter, quite rightly, and her wicked Weimar frolic MORAL (MORALITY, Willi Wolff, 1928 ) – a stunning restoration from multiple sources, really a work of art in itself. [...] In the witty caper MORAL, with shades of Professor Unrat/THE BLUE ANGEL, but in the comic rather than tragic mode, the ‘morality society’ of a small German town splutter outrage at the arrival of a racy Berlin revue (featuring actual Tiller Girls) in their wholesome home of Emilsberg. But then of course, they’re all queuing up for “piano lessons” with its sexy star Ninon (Richter) under assumed names. With stealth camerawork and a sense of fun and justice in perfect balance, Ninon skewers their hypocrisy and avoids their censure, all while demonstrating the most stunningly distracting wardrobe (who wears gold lame pyjamas and heels to the police station? Ninon does). It’s a righteous but rollicking romp, [...]. At the close of the film, Ninon makes the assembled shame-faced censors promise to return to her show and instead of throwing brickbats to offer “thunderous applause”. As the lights went up, we did too.
Pamela Hutchinson, Silent London blog, October 7, 2021