*Hommage Cinemateca Brasileira*
In LIMITE, dem wohl berühmtesten brasilianischen Stummfilm, geht es um zwei Frauen und einen Mann, die gemeinsam in einem Boot auf dem Meer treiben. Rückblenden zeigen Bruchstücke aus ihren früheren Leben: Die eine Frau floh aus dem Gefängnis, die andere verließ ihren betrunkenen Ehemann und der Mann, ein Witwer, ist in eine verheiratete Frau verliebt. Diese Narration bleibt allerdings fragmentarisch im Hintergrund. Im Vordergrund stehen die Kraft der Bilder und die visuelle Poesie dieses Meisterwerks der Avantgarde. Außergewöhnliche Kamerastandpunkte und eine unkonventionelle Struktur vereinen sich mit einer bedrückenden Stimmung und erzeugen zugleich ein pures visuelles Vergnügen an diesem experimentellen Film.
LIMITE ist der einzige Film des Schriftstellers und Poeten Mário Peixoto, der zunächst selbst die männliche Hauptrolle spielen und die brasilianischen Regisseure Humberto Mauro und Adhemar Gonzaga für sein Projekt gewinnen wollte. Beiden lehnten allerdings ab – das Werk sei zu persönlich und nur durch Peixoto selbst zu realisieren. Der visuell hypnotisierende Avantgardefilm hat fast per Zufall überlebt und konnte 2010 mit der Unterstützung Martin Scorseses restauriert und vor dem Verschwinden gerettet werden.
Der erste und einzige Film des Regisseurs Mário Peixoto zählt zu den wichtigsten der brasilianischen Filmgeschichte. Diesen bis in die Gegenwart reichenden Ruhm verdankt LIMITE vor allem einigen seiner Bewunderer, die sich für seinen Erhalt und seine Wertschätzung einsetzten. […] Der französische Filmhistoriker George Sadoul nannte LIMITE ein „unbekanntes Meisterwerk“ und reiste 1960 allein für den Versuch, ihn zu sehen, nach Brasilien, wobei er allerdings erfolglos blieb. Der Film wurde zunächst nur sporadisch gezeigt, schaffte es in keine kommerzielle Auswertung und blieb lange Zeit ein Geheimtipp für Filmemacher aus dem Ausland, die ihn mit etwas Glück, wie Orson Welles 1942, in speziellen Vorführungen gezeigt bekamen. […]
Mário Peixoto hatte während eines Aufenthalts in England in den Jahren 1926/27 viele der damaligen avantgardistischen Produktionen, vor allem aus Deutschland, der Sowjetunion und aus den Vereinigten Staaten von Amerika gesehen. Neben seinem Interesse für die modernen Montagetechniken war er ein Fan des deutschen Expressionismus. Sein Debüt, um dessen Produktion und Finanzierung er sich zurück in Brasilien selbstständig kümmerte, entstand aus dem Wunsch, selbst mit den zeitgenössischen visuellen, rhythmischen Möglichkeiten des Films zu experimentieren. Mit diesem Versuch war der gerade mal 23-Jährige vielen brasilianischen Regisseuren seiner Zeit einen Schritt voraus – leider offensichtlich einen zu viel, denn sein „non-narrative cinema of poetry“, wie es der Filmemacher Walter Salles nennt, schien seine Zeitgenossenen zu überfordern.
Martin Schlesinger, Bilder der Enge, Bielefeld 2021
Peixoto’s synthesis of the many different schools of silent cinema has been rightfully emphasized throughout the years. His unique style collides a sophisticated understanding of Griffith’s decoupage with Soviet montage, existential motifs sipped from the waters of French impressionism, and expressive camera work inspired by German cinema. The cinematography is taken to unforeseen extremes by the extraordinarily inventive work of director of photography Edgar Brasil – himself German-born – who built camera cranes and dollies to fulfill and expand the director’s vision, and stretched the film’s latitude to capture the tropical sun in its ravishing fury. Yet what could seem like a superficial stylistic collage is only the loose thread leading to the deep pattern of contrasts and heterogeneity that makes this such a singular film.
LIMITE is both poetry and prose; a metaphor about the inexorability of the human condition as much as it is an experience of tactile memories, salty wind and sunburnt skin. The film reveals depth by adhering to the surface, finding common ground for Robert Flaherty’s direct approach (the near absence of makeup, the fraying costumes, the merciless glow of the sun) and Man Ray’s exploration of film as a flat canvas (of fabric, of sand, of newspaper headlines). The shots alternate between perspectives, using the camera as a polyphonic narrator: it can “see” as a character, as the wind, as the wheel of a train, creating a rhythmic experience that aspires to transcend physicality yet is always pulled back to the physical world, much like the stranded boat.
Fábio Andrade, in: The Criterion Collection, May 31, 2007