Auch wenn man beim sowjetischen Stummfilm nicht als allererstes an Komödien denken mag, so ist DIE SELTSAMEN ABENTEUER DES MR. WEST IM LANDE DER BOLSCHEWIKI ein echter Stummfilmklassiker. Lev Kulešovs berühmteste Filmarbeit ist eine Art Westernkomödie auf russischem Boden, in der der Vorzeigeamerikaner John West, der in seinem Aussehen mehr als dezent an SPEEDY-Darsteller Harold Lloyd erinnert, in die Sowjetunion reist und dort – ganz wie der Titel besagt –verschiedene Abenteuer erlebt. Fast zwanzig Jahre nach seiner letzten Aufführung auf den Stummfilmtagen kehrt der nach wie vor extrem frisch und lebendig wirkende MR. WEST auf die große Leinwand im Arkadenhof der Uni Bonn zurück, um langjährige und neue Festivalbesucher*innen gleichermaßen zu begeistern.
Der neue Film von Goskino ist eine gelungene Arbeit, die einen verdienten Erfolg ernten wird. Ein gut durchgehaltener Stil der Groteske, das Spiel der Darsteller – all das ist unerwartet einheitlich und expressiv montiert.
Was die Einheit von Stil und Spiel angeht, so kann der Film neben DIE AUSTERNPRINZESSIN [D 1919, Ernst Lubitsch] und LE BRASIER ARDENT [F 1923. Iwan Mosjoukin] gestellt werden. Allerdings läßt eine betont individuelle Handschrift dieses Streifens solche Vergleiche nicht zu. Ausgezeichnet sind die Szenen im Atelier (gut ist hier der Stil deutscher Elendsbehausungen aus der Kulissenweltbenutzt), gut sind auch die amerikanischen Tricks parodiert (Cowboys in Moskau auf Verfolgungsjagd) usw. Besonders fällt eine Schauspielerin [= AlexandraChochlowa] auf, die konsequent die Rolle der Gräfin in streng geometrisierten, eckigen Bewegungen gestaltet.
Wäre der Regisseur daran interessiert, diesen guten Film ganz vor den Vorwürfen der Kritiker zu schützen – er hätte das Ende noch einmal überarbeiten sollen. Die Filmemacher wollten den Kontrast zwischen dem imaginierten und dem realen Rußland herausstellen, so zeigten sie die Parade auf dem Roten Platz und den lebenden [aber 1924 nach Lenins Tod von Stalin bereits bekämpften] Trotzki stellvertretend für letzteres. Ob das aber wirklich trägt?
Boris Tomaschewski, Schisn iskusstwa, Leningrad, Nr. 21, 1924 (Übersetzt von Oksana Bulgakowa)