Zweifellos gehört Carl Theodor Dreyer zu den bekanntesten und wichtigsten Filmschaffenden der dänischen wie auch internationalen Filmgeschichte. In seinem 1919 entstandenen Regiedebüt DER PRÄSIDENT geht es um den Richter Karl Victor von Sendlingen, der in einem moralischen Zwiespalt steckt und sich zwischen seiner Ehre als Richter und seiner unehelichen Tochter entscheiden muss. Dreyer arbeitet in diesem Melodrama über Schicksal, soziale Ungleichheiten, Verantwortung und Moral mit Rückblenden und poetischen Bildern, die eine große visuelle Kraft besitzen und die nicht selten an seine bekannten späteren Werke, wie LA PASSION DE JEANNED’ARC (1928), erinnern. 1999 wurde DER PRÄSIDENT unter Leitung der dänischen Filmhistorikerin Marguerite Engberg rekonstruiert und analog restauriert. Det Danske Filminstitut hat die Restaurierung 2021 in 4K digital überarbeitet. Die neue digitale Fassung feiert bei den Stummfilmtagen ihre internationale Premiere.
[Der deutsche Dramaturg] Dr. Adolf Droop hat den Roman von Karl Emil Franzos zu einem wirkungsvollen Filmdrama umgearbeitet. Der einzige Fehler des Manuskriptes ist, daß es nicht weniger als dreimal in die Vergangenheit zurückführt. Die Regie, für die Carl Th. Dreyer verantwortlich zeichnet, verdient volles Lob. Kurz aufzuckende, originelle und charakteristische Bilder, die manchmal mehr ausdrücken als sonst ein langes Sprechen der Darsteller, beleben das Spiel und weisen einen neuen gangbaren Weg. Die prächtigen Landschaften verdienen besonders hervorgehoben zu werden. Die nordischen Darsteller sind bei uns zumeist noch unbekannt. Olga Raphael-Linden zeichnete die uneheliche Tochter des Präsidenten, die Kindesmörderin, die ein trauriges Schicksal zu diesem verzweifelten Schritte treibt, mit eindrucksvoller Gestaltungskraft. Halvard Hoff gab den Präsidenten mit tragischer Größe. Die Photographie ist ohne Tadel, dem Innenarchitekten gebührt ebenfalls Anerkennung.
Hajot., Film-Kurier,Nr. 9, 11.1.1920
I personally chose Karl Emil Franzos’s novel, because it offered an opportunity to try new ways. The manuscript called for a complicated flashback technique which made the screenplay seem enormously clever and ‘original.’ I think I was quite proud when it was done. But I was anything but proud when I saw the final cut of the film. I found the Chinese box system of the flashback technique cumber some and ‘pretentious.’ I have never used flashbacks since. (...)
As for the sets, I tried to have them reflect the personalities of the people who lived in them, while I also strove towards simplification. In those efforts I was – as anyone can plainly see – guided by painters like Hammershøy [sic] and Whistler, and as far as the cast was concerned I managed to push through that all old persons in the film be played by elderly actors who were the same age as their characters, and in minor roles rather a good character than a poorly masked actor giving off an unmistakably [sic] odour of beard and makeup. This seems obvious now, but in 1917/18 it meant a break with established customs and traditions.
Carl Th.Dreyer, Letter to Erik Ulrichsen, 11.3.1958