Während eines Jahrmarktbesuches erhält ein junger Dichter vom Besitzer des Wachsfigurenkabinetts den Auftrag, Hintergrundgeschichten zu dessen Modellen zu verfassen. Die gruseligen Geschichten, die der Dichter sich ausdenkt, spielen sich in drei Episoden vor den Augen der Filmzuschauer*innen ab. Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie des Geschichtenerzählers. Die drei größten deutschen Schauspieler ihrer Zeit, Emil Jannings, Conrad Veidt und Werner Krauss, verkörpern die Hauptrollen in den Geschichten um Harun-Al Raschid, Iwan den Schrecklichen und Jack the Ripper. Paul Lenis letzte abendfüllende Regiearbeit in Deutschland gilt seit jeher als Klassiker des deutschen Stummfilms und Paradebeispiel des filmischen Expressionismus. Zuletzt war DAS WACHSFIGURENKABINETT im Jahr 1999 auf den Stummfilmtagen in Bonn zu sehen. Dieses Jahr wird die neue digitale Restaurierung der Deutschen Kinemathek und der Cineteca di Bologna von 2020 gezeigt, für die Materialien aus London, Paris und Prag verwendet wurden.
Ein Film der Mystik, der an [Gustav] Meyrink anklingt und doch nicht Meyrink ist. Lebendig gewordene Wachsfiguren, denen ein Dichter Erzählungen schreibt, die Tochter des Schaubudenbesitzers, die mit in die Handlung gezogen wird. Es ist Traum und Wahrheit, Tatsächliches und Unwahrscheinliches durcheinander. Unerhörte Wirkungen werden in diesem Filmerzielt. Man sieht Bilder von einer Eindringlichkeit, von einer phantastischen Bildkraft, die sich unauslöschlich einprägen. Unwillkürlich spinnt sich hier eine Gedankenwelt, von deren starker Wirkungskraft man nur Andeutungen geben kann. Wer die Literatur des Meyrinkschen Kreises kennt, die dieser Geschichtenkreis mit entwickelt, wird bezeugen, daß dieser Film nicht eine phantasievolle, sondern eine tatsächliche Unterstreichung ist, eine Plastik, die dem Ideenkreis dieser Richtung sich anpaßt.
Krauss, Jannings und Veidt sind die Wachsfiguren, die durch den Dichter lebendig werden und in den Erzählungen zuspielen haben. Jeder von den Dreien hat etwas Besonderes, jeder von ihnen ist hineinverwoben in das phantasievolle Geschehen, jeder von ihnen gibt eine starke Gestaltung, läßt persönliche Momente anklingen, verkörpert etwas, das er sich in seiner eigenen Gedankenwelt zurecht geträumt hat. (...)
Dieser Film, stilisiert und phantastisch, realistisch und doch nicht realistisch, ist eine Großtat der deutschen Filmproduktion, ist ein Produkt, dem eine bleibende Stelle innerhalb der Filmproduktionen einzuräumen ist, ist ein Denkmal dessen, was Deutschland in der Filmproduktion bieten und leisten kann und auch muß.
Th., Der Film, Nr. 46, 16.11.1924
This is a picture that really matters in the history of the kinema, in asmuch as its treatment is wholly kinematographic. It borrows nothing from the stage either dramatically or scenically, and is a revelation in the value on the screen of line, light, and shadow.
This remarkable production of Paul Leni has been called experimental, and so it may have been in 1924. Even today it has a freshness of vision, an imaginative daring, that is captivating. But there is nothing crude or thin about it. On the contrary, it is a mellow, deep-toned production; it seems, as it were, very sure of itself. (…)
Conrad Veidt’s impersonation of the tragic Tsaris truly brilliant. For tragic he makes him, despite his horrible cruelties, and thus saves the whole thing from sheer gruesomeness. He invests the central figure with a fanaticism, a fatality, from which he himself cannot escape. The atmosphere of overhanging doom is heightened by the producer’s masterly manipulation of the Russian forms of architecture. It is said that Paul Leni was once an architect and a scenic artist. In any case, he must have studied architectural expression very closely, and is able to extract a degree of meaning from the shapes of his settings that I have never seen equalled.
Michael Orme, The Illustrated London News,21.7.1928